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Auch wenn hier der Mann malträtiert wird, ein Shades of Grey reicht nicht annähernd an den Klassiker Venus im Pelz heran. Severin, ein adeliger Müßiggänger, wirbt erfolglos um Wanda, fordert aber ihre dunkle Seite heraus. Sie verkörpert nun die Rolle der grausamen Venus im Pelz und nimmt ihn als Sklaven mit nach Florenz. Die Stationen seines Lust- und Leidensweges gehören bis heute zu den Standards dieser Empfindungskultur.Die klassische SM-Story – Namensgeber des Masochismus
BOOKLET:
Im Vergleich: Thomas Mann - der andere Weg
Selbst ohne intime biographische Kenntnisse
liest sich der Anfang von Tonio Kröger eher
wie das Outing eines Homosexuellen, denn als
eine Künstlernovelle. Auch wenn das vielen
Zeitgenossen entgangen ist.
Einmal angenommen der Verfasser hätte daraufhin
Post vom Mann seines Lebens oder von
einem der bis dahin vergeblich begehrten
blonden Jünglinge bekommen, die beiden hätten
Gefallen aneinander gefunden und der
junge Autor hätte die Verpflichtung übernommen
seinen Liebling zu ernähren. Dann gäbe
es zwar trotzdem einen Roman mit dem Titel
Die Buddenbrooks, es ist aber mehr als zweifelhaft,
daß der Verfasser dafür mit dem Literaraturnobelpreis
bedacht worden wäre. Vorallem nicht, wenn der Großteil seiner darauffolgenden
literarischen Produktion aus
Erwerbsnöten für eine einschlägige Zielgruppe
produziert worden wäre. Thomas Mann entschied
sich bekanntlich für sein literarisches
Schaffen und gegen seine Veranlagung.
Sacher-Mascoch: Ein geborener Verführer
"Eigentümlich und fremdartig sah er aus. Von
schlanker, eleganter Gestalt, stets sorgfältig gekleidet,
in Haltung und Betragen die feinste Erziehung
verratend, überraschte er durch den raubtierartigen
Ausdruck seines Gesichts, das stets glatt rasiert war
und nicht das kleinste Härchen zeigte. Wenn er
lächelte und die großen weißen Zähne wies, glich er
einem jungen Wolf. Der Mann war entschieden häßlich,
aber von jener interessanten Häßlichkeit, die
Frauen bezaubern kann. Das gelang ihm auch mit
leichter Mühe. Die Frauen fanden ihn bei der ersten
Begegnung abscheulich und endeten damit, daß sie
sich in ihn verliebten. Von allen Schriftstellern, mit
denen ich in den sechziger Jahren verkehrte, hatte
er das meiste Glück bei den Frauen."
So beurteilt der Schriftsteller Karl von Thaler in seinem Nachruf den Kollegen Leopold von
Sacher-Masoch, der nicht nur der geborene Frauenverführer gewesen sein soll, sondern auch
im Umgang mit Männern über beachtliche gesellschaftliche Talente verfügte. Ein persönlicher
Auftritt gewann ihm die Gunst des allseits gefürchteten Literaturpapstes Kürnberger. Dieser
hatte die vorausgehenden Schreibereien des Autors nicht allzu hoch eingeschätzt, fand jedoch in
den spontanen Erzählungen des jungen Galiziers genau jenes Element, das der zeitgenössischen
deutschen Literatur entschieden abging. Als der junge Autor mit dem Don Juan von Kolo -
mea auch ein schriftliches Zeugnis seiner sinnlichen Erzählkunst vorlegen konnte, erklärte sich
der Kritiker gern zu einem Vorwort bereit.
Weniger aus Gefälligkeit gegenüber einem netten jungen Mann, sondern aus künstlerischen
Gründen: soviel Realität wie das literarische Ausnahmetalent aus dem äußersten Osten der
Österreichischen Monarchie bot keiner der landläufigen Salonliteraten, die ihre Anregungen
eher aus anderen Büchern als aus der Wirklichkeit bezogen. Die veröffentlichte Meinung folgte:
"Welche Zeitung der junge Sacher-Masoch auch zur Hand nehmen wollte, er las darin sein Lob.
In seinen Erzählungen lag auch sein seltsamer Reiz, dem man sich gern gefangen gab....Der
starke sinnliche Duft, den sie ausströmten, wirkte berauschend auf die Nerven..." so fährt Thalers
Nekrolog fort, bevor das große Aber einsetzt. Einwände gegen die weitere künstlerische
Entwicklung des begabten Erzählers gab es schon 20 Jahre vorher.
Als die Erzählung Don Juan von Kolomea im seinerzeit sehr populären Deutschen Novellenschatz
erscheint - auch Gottfried Keller, Theodor Storm oder C.F. Meyer waren beglückt über die
Aufnahme ihrer Werke in die lukrative Reihe-, lobt Herausgeber Paul Heyse das Talent des vielversprechenden Autors. Der spätere Literaturnobelpreisträger kann aber die Richtung nicht billigen,
die Sacher-Masochs Kunst nach seinen ersten Erfolgen eingeschlagen hat. "In einer Reihe
von Bänden Russischer Hofgeschichten wie auch in dem ersten Die Liebe betitelten Teil seines
Werkes "Das Vermächtnis Kains" wird unermüdlich das Thema variiert, daß keine männliche
Kraft dem Sinnenzauber widersteht, jede Manneswürde und Mannesehre der Verführung eines
üppigen Weibes erliegen muß und daß Grausamkeit und Wollust blutsverwandt sind. Diese
Richtung einer krankhaften Sinnlichkeit,... hat Sacher-Masoch den Beifall der Franzosen eingetragen."
Die seinerzeit vielgerühmten Schilderungen aus der bislang unbekannten Welt Galiziens, wird
der Leser in Venus im Pelz in der Tat vergeblich suchen, das literarische Neuland besteht in der
Aufzeichnung einer Gefühlskultur, die bis heute mit seinem Namen verbunden ist, obwohl mehr
als 100 Jahre später so manche Erscheinung mit dem Begriff Masochismus in Verbindung
gebracht wird, für die es keine Belege in seinem Werk gibt. Die Erzählung Venus im Pelz gehört
zum von Heyse abschlägig beurteilten ersten Teil eines auf 6 Bände angelegten Zyklus von
Erzählungen, der alle Bereiche des Lebens umfassen und vielfach die gültigen Normen in Frage
stellen und eine Umwertung der Werte in Gang setzen sollte:
1. Die Liebe der Geschlechter 2. Das Eigentum 3. Der Staat 4. Der Krieg 5. Die Arbeit 6. Der Tod
Die Formel von der Umwertung ist durch Friedrich Nietzsche besetzt, aber als Leopold von
Sacher-Masoch 1869 die Konzeption für das Vermächtnis Kains entwirft, da werkelt dieser noch
an seiner Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik, eher eine Rechtfertigungsschrift für die
Ästhetik Richard Wagners als die Arbeit an neuen Werten. Der zweite Band zu dem Vermächtnis
Kains erscheint, als Nietzsche seine zweite Unzeitgemäße Betrachtung abschließt: Vom Nutzen
und Nachteil der Historie für das Leben. Als Nietzsche 1878 mit Menschliches, Allzumenschli -
ches seine neue Art der Philosophie einleitet, da sucht Leopold von Sacher-Masoch verzweifelt
nach Geldgebern für die Fortführung seines Großprojekts und schreibt sich gleichzeitig um seinen
guten Ruf, nur um am Leben zu bleiben. Ein weiterer Band des ambitionierten Zyklus
erscheint nicht mehr. Die Ursachen für den Abbruch liegen nicht im inhaltlichen Bereich oder in
einem Wechsel von Überzeugungen; der von den Wechselfällen des Schicksals stark betroffene
Autor hat bis zuletzt an seiner Konzeption festgehalten und daran gearbeitet. Aber auch fünfundzwanzig
Jahre nach Veröffentlichung von Venus im Pelz war der Ritter von Sacher-Masoch ein
Autor mit einem gründlich ruinierten Ruf. Nicht wegen einer anstößigen Erzählung, sondern
wegen seines Versuchs, die Phantasie wahr werden zu lassen.
Keine Prätentionen – Vorspiel im Traum
Eine erotische Novelle als Teil eine anspruchsvollen
Unternehmens zur Umwertung aller Werte, das klingt
zunächst ein wenig prätentiös. Aber am Anfang der
Erzählung steht die kritische Auseinandersetzung mit
der christlich geprägten abendländischen Kultur. Der
Autor der Venus fährt bei seiner Kritik nicht schweres
Geschütz oder gewichtige Thesen auf, sondern führt
seine umstrittenen Themen und Thesen in einer eroti -
schen Tändelei von träumerischer Leichtigkeit ein, in
der die erotische Faszination der Grausamkeit und eine
Kritik an der sinnenfeindlichen christlich geprägten
Zivilisation auf engste miteinander verknüpft sind. In
dem dichten Geflecht aus Zitaten, Referenzen und
Anspielungen präsentiert sich die Venus nicht nur von
ihrer sinnlichen Seite, sie verführt zugleich durch eine
unwiderstehliche Argumentation, in der sie klassisches
abendländisches Bildungsgut gegen die christlich
geprägte Doppelmoral ausspielt. "...und hat einer einmal
den Mut gehabt meinen roten Mund zu küssen, so pilgert
er dafür barfuß im Büßerhemd nach Rom und
erwartet dafür Blüten vom dürren Stock.."
Die Auflösung des Spiels zwischen einer Venus, die alle
Argumente auf ihrer Seite hat, erfolgt in einer für jeden
nachvollziehbaren Weise. Mitten im Satz verwandelt
sich die lachende Göttin in einen Kosaken, der seinen
Herrn weckt und mit ihm schimpft, weil der über seiner
Hegellektüre eingeschlafen ist.
Ein abartiger Bildungsroman?
Ein derart virtuoser spielerischer Umgang mit allem, was den Gebildeten als hoch und heilig gilt,
ist eher untypisch für die renommierte Gattung, in die sich Venus im Pelz einreiht.
S. 5
Als der etwas ratlose und über sich selbst verwunderte Erzähler bei seinem erfahrenen Freund
Severin Rat sucht, gibt ihm dieser einen Bildungsroman anstelle der erwünschten Traumdeutung.
Deutlich dünner als Wilhelm Meister und seine Epigonen, auch sonst weichen die
Bekenntnisse eines Übersinnlichen stark vom bekannten Schema ab, das die deutschen Dichter
seit Wieland und Goethe variieren, dafür erreicht der Held das Lernziel umso gründlicher. Für
Lieblingsspielzeuge, Jugendfreunde, erste Lieben und allerlei andere genretypische Anekdötchen
und Erfahrungen bleibt kein Raum, alle frühen Bildungserlebnisse sind um eine zentrale
Erfahrung aus jungen Jahren gruppiert: die als lustvoll empfundene Züchtigung des allzu keuschen
und allzu stolzen Jünglings durch eine Tante und ein vorher verschmähtes Dienstmädchen.
Auch die anderen üblichen Irrungen und Wirrungen des Erwachsenwerdens sind
nicht der Rede wert. Am Beginn seiner Aufzeichnungen befindet sich der adelige Müßiggänger
Severin in einer Art Sackgasse. Mangel an Talent ist nicht sein Problem, aber der vielfältig
Begabte kann keine seiner Begabungen zur vollen Entfaltung bringen. "...also bin ich nichts weiter
als ein Dilettant, ein Dilettant in der Malerei, in der Poesie, der Musik...und vor allem bin ich
ein Dilettant im Leben."
Als der Dilettant in vielen Künsten seinen Absolutheitsanspruch auf einen Bereich ausdehnt, in
dem derartige Ansprüche äußerst selten die volle Entsprechung finden, erleidet er eine vollständige
Niederlage und wechselt von einem Extrem in das andere:
"Ich habe zwei Frauenideale. Kann ich mein edles, sonniges, eine Frau, welche mir treu und
gütig mein Schicksal teilt, nicht finden, nun dann nichts Halbes oder Laues. Dann will ich lieber
einem Weibe ohne Tugend, ohne Treue , ohne Erbarmen hingegeben sein. Ein solches Weib in
seiner selbstsüchtigen Größe ist auch ein Ideal. Kann ich das Glück der Liebe nicht voll und ganz
genießen, dann will ich ihre Schmerzen, ihre Qualen auskosten bis zur Neige; dann will ich von
dem Weibe, das ich liebe, mißhandelt, verraten werden, und je grausamer, um so besser. Auch
das ist ein Genuß!"
Diese Selbstbeschreibung gibt Severin am Ende seiner erfolglosen Werbung um die Hand von
Wanda von Dunajew. Die junge Witwe räumt ihm zwar während des Aufenthalts in einem Badeort
alle Rechte des Liebhabers ein, erteilt aber seinem Versuch dem Glück mittels Eheschließung
Dauer zu verleihen, eine entschiedene Absage. In seinem Streben nach Konsequenz
fordert der adelige Müßiggänger die dunkle Seite der Schönen heraus. Die derart Umworbene
nimmt die Herausforderung an und schlüpft in die Rolle der grausamen Venus im Pelz. Als ihr
Diener begleitet er sie nach Florenz, dort macht sie ihn vollends zum Sklaven und läßt keine für
ihn denkbare Demütigung aus.
Beachtenswerterweise erfüllt das Endergebnis dieser "Erziehung der Gefühle" die Erwartungen
an einen Bildungsroman. Der Held ist gereift; bereit zur Übernahme von Verantwortung und zur Einnahme einer gesellschaftlich relevanten Position. Die Art und Weise, in der die "Erziehung"
zustande kommt, widerspricht aber den Konventionen der Gattung wie der Gesellschaft.
Stil und Bezüge
Die Stationen von Severins Lust- und Leidenswegs gehören bis heute zu den Standards dieser
Empfindungskultur. Viele Pionierleistungen leiden nun darunter, daß sich die Technik weiterentwickelt
hat. Mag sich die eine oder andere alte Aktphotographie auch durch einen besonderen
Charme auszeichnen, auf den heutigen Betrachter wird sie nicht dieselbe anregende Wirkung
haben wie auf die Zeitgenossen der abgelichteten Schönheit. Auch in der Literatur haben sich
die Darstellungsweisen verändert: genügte früher schon ein Reizwort, um das Blut der Leser in
Wallung zu versetzen, so sind die "Ansprüche" inzwischen gestiegen. Venus im Pelz bleibt trotzdem
vom Gilb verschont, denn Severins Erfahrung ist so geschildert und gestaltet, daß sie nicht
veraltet, aus gutem Grund: Als Sohn des Polizeichefs von Galizien verstand sich Sacher-Masoch
auf den Umgang mit Zensurbestimmungen und hat eine Kunst der Darstellung entwickelt, die in
Dialog mit der Phantasie des Lesers tritt.
Weshalb heißt der Masochismus Masochismus?
Leopold von Sacher-Masoch ist nicht der erste Autor, der psychische und physische Abhängigkeit
eines Mannes gegenüber einer F rau samt den damit verbundenen Erniedrigungen
beschreibt. Beispiele von sexueller Hörigkeit finden schon im Alten Testament (Samson und
Delila) oder in der Lieblingslektüre des jungen Leopold, den Confessions eines Rousseau. Auch
Novalis, Kleist, Heyne, Byron, Baudelaire, Zola (Nana) oder Goethe (Werther) haben ihren Beitrag
zum Thema geleistet, aber allesamt nicht derart extrem.
Die Häufung der Kombination von Pelz und Peitsche ist aber nicht ausschließlich eine zwangsläufige
Folge der einseitigen Fixierung des Autors, sondern eine Reaktion auf die Gesetze des
Marktes. Sacher-Masoch erhielt fertige Manuskripte mit dem Hinweis zurück, daß die typischen
Szenen mit Pelz und Peitsche fehlen würden.
Den Begriff Masochismus gibt es seit 1886, mit dem Erscheinen der Psychopathia Sexualis des
Wiener Psychiaters und Gerichtsmediziners Freiherr von Krafft- Ebbing. Der hatte in den Werken
Sacher-Masochs eine wissenschaftlich noch gar nicht kategorisierte Perversion entdeckt
und sie mit dem Namen des prominentesten Kranken versehen. Ab 1890 setzt sich der Begriff in
der Diskussion durch. Die Hauptschuld an der Entstehung des Begriffs Masochismus trägt aber der Kaiser von Österreich. Hätte der Monarch nicht Anno 1838 durch ein Edikt den Erhalt den
Doppelnamen Sacher-Masoch zugelassen und so einen renommierten Namen vor dem Aussterben
bewahrt, dann würde das Phänomen womöglich Sacherismus heißen. Die Sacher-Torte böte
bei jeder Kaffeetafel Spielraum für vielfältige Spekulationen über die rätselhaften Veranlagungen
des Wiener Konditors.
Eine rätselhafte Veranlagung und ihre Ursachen
Im Hinblick auf die (neidvollen) Schilderungen seines Schriftstellerkollegen Thaler stellt sich
jeder vernünftige Mensch die Frage nach den Motiven, die den gefeierten Autor und Liebling der
Frauen auf derartige Abwege geführt haben. Die Suche nach Ursachen für die erotische Fixierung
wie für den frühen literarischen Erfolg führt in die Kindheit. Innerhalb eines Jahres macht
Leopold von Sacher-Masoch zwei prägende Erfahrungen: die als lustvoll empfundene Züchtigung
durch die Tante im Alter von 9 Jahren - in Venus im Pelz aufgegriffen - und, ein Jahr später,
das Erlebnis des Polnischen Aufstandes von 1846. Die körperliche Bestrafung wird zur Urszene
in Sacher-Masochs Leben und Werk, in seinen Erinnerungen detailliert beschrieben.
Erbost darüber, daß der Neffe sie beim Seitensprung beobachtet hatte, gerät die Tante in Rage:
"Im Handumdrehen hatte sie mich der Länge nach auf dem Teppich ausgestreckt; dann packte
sie mit der linken Hand meine Haare, setzte ein Knie auf meine Schultern und begann mich
kräftig auszupeitschen. Ich biß mit aller Kraft die Zähne zusammen; dennoch tragen mir die Tränen
in die Augen. Aber ich muß doch zugeben, daß ich, obwohl ich mich unter den grausamen
Schlägen der schönen Frau wand, eine Art von Lust dabei empfand." Diese Schlüsselszene hat
ein berühmtes literarisches Vorbild: Jean-Jacques Rosseau beschreibt in seinen Confessions,
daß er bei der körperlichen Züchtigung einer Erzieherin im Schmerz und sogar in der Scham
"eine Art Wollust" empfunden habe, eine Empfindung, von der er annimmt, daß sie seine Neigungen
und Begierden für den Rest des Lebens maßgeblich bestimmt habe. Für Sacher-Masochs
ist die Urszene zudem unlösbar verknüpft mit dem Erlebnis politischer Gewalt: Der Sohn
des Polizeipräsidenten von Lemberg erlebt den polnischen Aufstand gegen die Österreichische
Verwaltung, wird Zeuge der Kämpfe und erlebt die Faszination der Grausamkeit. Die eigene
Erfahrung der Geschehnisse bringt ihn in Opposition zum auflagenstärksten deutschen Autor
seiner Zeit und sein Widerspruch ist der Anfang seiner Laufbahn als Schriftsteller. Der junge
Privatdozent liest einer Dame aus Gustav Freytags Bestseller Soll und Haben vor, als ihm
bewußt wird, daß die Schilderung des polnischen Aufstandes, den er aus eigener Anschauung
kennt, nur so vor Fehlern strotzt. (Freytags Szene erinnert eher an einen Western, nur werden
gute Deutsche Siedler, die ein verlottertes Gut retten wollen, von wildgewordenen polnischen Horden belagert). Als der Historiker seine eigene Erfahrung schildert, erhält er die Aufforderung,
doch ebenso mitreißend zu schreiben. Zwei Romane liegen vor, als ihn das dritte prägende
Erlebnis heimsucht: seine erste Liebesbeziehung.
Am Anfang steht verweigerter Respekt. Den versagt der in Liebesdingen unerfahrene Privatdozent,
immer noch vom Ideal der großen und einzigartigen reinen Liebe umfangen, einer allseits
umworbenen und bewunderten Schönheit. Die nimmt das Desinteresse als Herausforderung,
erobert den bis dahin erotisch unerfahrenen jungen Mann und macht sich ihn untertan. Dann
folgt der Alltag samt den Versorgerpflichten, am Ende steht verlorener Respekt und ein neuer
Liebhaber. In Venus im Pelz sind die Erfahrung der ersten Lust und der ersten Liebe zusammengezogen
zu einem Erlebnis.
S/M oder was hat der Edle von Sacher-Masoch mit dem Marquis de Sade zu tun?
Die Buchstabenkombination SM hat inzwischen einen eindeutigen Beiklang, als Kürzel für den
Mann, dessen Name für einem medizinischen Begriff unfreiwillig Pate stand, taugt es sicher
nicht mehr.
Nach landläufigen Vorstellungen verhalten sich Sadismus und Masochismus zueinander wie
Vorder- und Rückseite einer Münze, die derzeit gängige Praxis mag derartige Ansichten begünstigen.
Tatsächlich handelt es sich aber nur bedingt um zwei Seiten derselben Medaille. Am
besten läßt sich der Unterschied zwischen klassischem Sadismus und Masochismus and der
Rolle des Opfers/Sklaven festmachen.
Begibt sich Sacher-Masochs Severin aus freien Stücken in die Rolle eines Sklaven, so hat das
Opfer keine Wahl. Justine, Titelheldin von de Sades erstem Roman, wird wieder und immer wieder
wider Willen das Opfer von Männern, die sie foltern, wie viele andere Frauen vorher. Justine
steht in der Tradition von Voltaires Candide, und deshalb gereicht der tugendhaften Justine jeder
Versuch, christlich zu handeln oder etwas Gutes zu tun, zum Schaden. Abgesehen davon, daß
sie ein guter Mensch ist und ständig in die Opferrolle gerät, hat sie erstaunlich wenig Eigenschaften.
Die gute Justine lernt auch nichts dazu, am Ende ihrer Leiden wird sie von einem
Blitzschlag getroffen. Severin dagegen geht - wie auch sein Autor - das Risiko bewußt ein. Nachdem
er das Maß seiner Leiden ausgekostet hat, ist er ein anderer Mensch geworden. Der Dilettant
in vielen Künsten beherrscht fortan die Frauen und das Leben. Auch bei der Gewichtung des
–istischen Anteils wird der Unterschied deutlich: Se verins Sklavenzeit nimmt etwa die Hälfte des
Umfangs von Venus im Pelz ein, Justines leidensfreie Phasen beschränken sich im wesentlichen
auf die erste und die letzte Seite ihrer Geschichte und ihre Wege von einem Folterer zum
nächsten.
Erst aufschreiben, dann ausleben
Auch im Leben der beiden Diskursbegründer gibt es auffällige Unterschiede: Der Marquis de
Sade zahlte für seine Versuche, den Traum in die Realität umzusetzen, mit lebenslänglicher Haft
u.a. in der Bastille. In Gefangenschaft entstanden auch jene Texte, in denen er seine Phantasien
in Fiktion verwandelte. Ohne ihre schriftliche Fixierung wäre der Marquis allenfalls eine Fußnote
im langen Sündenregister jenes ancien regime, das durch den Sturm auf die Bastille und die
folgenden Revolutionen beseitigt wurde. Nur dank seines Status als Irrer entging de Sade der
Gleichmacherin, die ein Dr. Guillot zwecks Verringerung der Leiden des Opfers erfunden hatte.
Der Ritter von Sacher-Masoch gestaltete seine Phantasien erst literarisch und unternahm dann
Versuche zur Umsetzung in die Wirklichkeit. Zunächst als zeitlich begrenztes Experiment oder
als eine Form der Therapie. Im Anschluß an die Niederschrift der Venus im Pelz folgte ein Vertrag
mit Fanny von Pistor samt Reise nach Italien. Das weitere Leben des Verfassers verlief
allerdings anders als das seines Helden, auch wenn zunächst alles nach einem Therapieerfolg
aussah. Im Dezember 1871 erhält er erstmals Post von einer Frau, die mit Wanda von Dunajew
unterzeichnete. Aufgrund der Briefe und der darauffolgenden Bekanntschaft gab er seine anderen
Beziehungen auf und schloß einen lebenslänglichen Vertrag. Eine Unbedingtheit also, die er
seinen Romanhelden Severin überwinden ließ. Seine Wanda war aber keine vermögende Witwe
oder Bankierstocher, sondern eine junge, aber blutarme Handschuhmacherin mit großen
Ansprüchen an das Leben. Ob die Verwirklichung seiner Vorstellung hinter den Erwartungen
zurückblieb? Anfangs sicher nicht, sonst wäre nicht auf eine private Zeremonie eine formelle
Eheschließung gefolgt. Auf die folgt
dann der Einschluß zu Schreibpflichten
zwecks Lebensunterhalt. Enthält der
erste Vertrag mit Fanny von Pistor
noch ausdrücklich festgelegte Schreibzeiten
als Freiraum für den Sklaven,
der sonst die Pflichten eines Dienstbo -
ten wahrnehmen muß, so ist der zweite
Vertrag mit Wanda ein Dokument
absoluter Unterwerfung, in dem sich
u.a. Passagen finden, die Wandas Vorgehensweise
rechtfertigen, auch nach
dem Scheitern der Ehe:
"Sie müssen arbeiten für mich wie ein
Sklave, und wenn ich im Überflusse schwelge und Sie entbehren lasse und Sie mit Füßen trete, dann müssen Sie ohne zu murren,
den Fuß küssen, der Sie getreten....
Ihre Ehre gehört mir, wie Ihr Blut, Ihr Geist, Ihre Arbeitskraft, ich bin Ihre Herrin über Leben und
Tod. Wenn Sie je meine Herrschaft nicht mehr ertragen können, daß Ihnen meine Ketten zu
schwer werden, dann müssen Sie sich töten, die Freiheit gebe ich Ihnen niemals wieder."
Leopold findet in Wanda die Verwirklichung seiner Fiktion; die Domina, die ihn bis aufs Blut auspeitscht,
die bei jeder Arbeit und zu jeder Jahreszeit Pelze und ausgefallene Garderoben trägt,
die ihn schließlich mit anderen Männern betrügt. All dies verläuft nach seiner Regie: die dominierende
Frau ist das Werkzeug des ausgelieferten, unterworfenen Sklaven. Leopold treibt
Wanda in mehrere Affären. Als sie sich jedoch ernsthaft verliebt, ist die Ehe gescheitert.
Der Vertrag bleibt jedoch auch noch gültig, nachdem Wanda ihren Sklaven verlassen hat. Nicht
der Versuch, die Fiktion in die Wirklichkeit umzusetzen, kostete Leopold von Sacher-Masoch den
literarischen Nachruhm, sondern der Verstoß gegen die eigenen Erkenntnisse. Das Streben
nach Dauer oder Permanenz in der Beziehung zwischen Mann und Frau vernichtete seine wirtschaftlichen
Grundlagen und lieferte den Autor den Gesetzen des literarischen Marktes aus. Einmalige
Honorarzahlungen machten die Verleger reich und zwangen den Autor, der so große
Visionen für alle Lebensbereiche hatte, zur Reproduktion seines Klischees.
Der geglückte Versuch, dem Erlebnis Dauer zu verleihen, erwies sich am Ende als verhängnisvolle
Entscheidung. Erst wurde er ein Opfer der allzu großen Vertragstreue seiner Wanda, dann
der Gesetze des Marktes und zuletzt des wissenschaftlichen Klassifizierungswahns eines Wiener
Psychiaters mit Doppelnamen.
Lebensgeschichte
Kindheit und Jugend 1836-1861
Die Erzählungen und Lieder seiner kleinrussischen Amme, die das Kind auch in ihr Heimatdorf
mitnahm, gaben der Phantasie des Knaben erste Anregungen. Durch den Vater der Mutter kam
Leopold auch mit einer anderen Volksgruppe in Kontakt. Großvater Masoch galt nicht nur als
einer der besten Ärzte der Monarchie, sondern war auch ein Mensch ohne Vorurteile. Der Professor
an der medizinischen Fakultät der Universität Lemberg bekämpfte nicht nur erfolgreich
die Cholera in diesem Landstrich, er veranlaßt auch die Öffnung des Ghettos und behandelt als
(einziger christlicher) Arzt die Bewohner des Judenviertels. Bei seinen Visiten begleitete ihn auch sein Enkel. Das frühe Erlebnis des Ostjudentums
machte später aus dem Erzähler
Sacher-Masoch einen zuverlässigen Chronisten
dieser Lebenswelt und einen Kämpfer gegen
antisemitische Tendenzen bis in die letzten Tage
seines Lebens.
Der Vater war nicht als Menschenfreund
bekannt. Als Polizeipräsident von Galizien ließ
er gelegentlich foltern, sein Sohn erlebte derar -
tige Vorführungen mit. Die Zeugenschaft bei der
Niederschlagung des Aufstandes des polnischen
Adels gegen Österreich (1846) sollte
Nachwirkungen haben. Sacher-Masochs Schilderung
des Aufstands steht am Anfang der
Schriftstellerkarriere. Als 10jähriger kann er aber noch kein Wort Deutsch, die Sprache in der er
später schreiben wird, lernt er erst zwei Jahre später, nach der Versetzung seines Vaters nach
Prag, der auch dort erfolgreich einen Aufstand niederschlägt. Die nächste Versetzung des Vaters
bringt Leopold nach Graz.
1861 – 1865 Eine geschiedene Frau
Zwei Romane sind bereits erschienen, als der Jungautor eine weitere prägende Erfahrung
macht. Anna von Kottowitz, die allseits umschwärmte Frau eines Grazer Arztes fühlt sich von
dem jungen Privatdozenten anzogen, nimmt dessen Desinteresse als Herausforderung und
erobert den bis dahin erotisch unerfahrenen jungen Mann. Der Ehemann wiederum verweigert
dem begabten Autor das Duell, überläßt ihm aber Ehefrau samt Kindern und der Verpflichtung
diese zu ernähren. Dieser unverhoffte Beweis seiner Attraktivität hat seinen Preis: Verzicht auf
seine künstlerische Freiheit und die Möglichkeit zur Weiterentwicklung. Statt dessen alltägliche
Schreibereien für Zeitschriften und Journale zur Bestreitung des Lebensunterhalts. Die Erfahrung,
daß bei seiner Geliebten die Kinder Vorrang haben, motiviert ihn zur Erzählung Don Juan
von Kolomea (1864). Die erscheint zwei Jahre später mit der Empfehlung von Ferdinand Kürnberger,
seinerzeit der bedeutendste Literaturkritiker Österreichs. Der Durchbruch ist geschafft;
die Erzählungen aus Galizien tragen Sacher-Masoch den Beinamen Turgenjew Kleinrusslands
ein. Die literarische Verarbeitung der Beziehung zu Anna von Kottowitz gelingt erst 1870, d.h.
nach der Entstehung der Venus im Pelz und der Realisierung seiner Phantasien.
1868 –1873 Don Juan und Severin
Erfolg bei den Frauen ist ebensowenig das Problem des Verfassers der Venus wie seines Protagonisten
Severin. Der erste Versuch zur Verwirklichung seiner Phantasie scheitert an den überwiegend
lesbischen Neigungen der Mitspielerin, ein Jahr später glückt der zweite Anlauf. Mit
Fanny Pistor, der Baronin Bogdanoff, verbringt er den größten Teil des Jahres, ehe er mit ihr im
Dezember einen Sklavenvertrag abschließt. Der Roman Venus im Pelz ist zu diesem Zeitpunkt
bereits fertig gestellt. Als Bedienter der Baronin Bogdanoff reist er mit ihr im Frühjahr 1870 nach
Florenz. Auf den ersten Blick hat das Erlebnis eine therapeutische Wirkung wie im Roman.
Anschließend stehen andere Konstellationen im Vordergrund. Zwei Schauspielerinnen sind die
Konstanten seines Lebens, nachdem er seine Phantasie ausgelebt hat. Mit Jenny von Frauenthal
ist er verlobt, mit Caroline Herold hat er ein Verhältnis und eine Tochter, als ihn im Dezember
1871 der erste Brief einer Wanda von Dunajew erreicht. Hinter diesem Decknamen verbirgt sich
die aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammende Handschuhnäherin Angelika Aurora Rümelin.
Bis zum Karneval besteht die Beziehung zu Wanda aus einem täglichen Briefwechsel. Das
erste Zusammentreffen erfolgt anonym auf einem
Maskenball. Nachdem sich Wanda in der Maske
einer verheirateten Frau von Leopolds Qualitäten
überzeugt hat, lüftet sie ihr Inkognito. Am
15.11.1872 schließen Leopold und Wanda in einer
"inoffiziellen" Traumzeremonie einen lebenslänglichen
Vertrag, 1873 wird die Beziehung in der Kirche
legalisiert.
1873 - 1882 Die Ehe mit Wanda
Die Eheschließung bildet einen Wendepunkt in
Sacher-Masochs Laufbahn als ernsthafter Schriftsteller.
Zwei Söhne (Alexander *1874 und Demetrius
* 1875) schaffen neue Unterhaltsverpflichtungen,
und die besorgte Mutter sperrt ihren Sklaven jetzt
zwecks Zeilenschinderei zum Lebensunterhalt ein.
Versuche, auf andere Art zu Geld zu kommen,
scheitern, obwohl der bekannteste Mäzen der Zeit
von sich aus an Sacher-Masoch herantritt. Nach
Wandas Angaben kommt es auch zu einem Briefwechsel und einem Zusammentreffen mit Ludwig
II., jedenfalls vermutet sie den sagenumwobenen Märchenkönig hinter dem Träger des
Pseudonyms Anatol. Aber weder drastische Maßnahmen noch geheimnisvolle Fremde können
den Niedergang der finanziellen Situation und den Verlust im öffentlichen Ansehen aufhalten.
Wohnorte wie Quartiere werden immer schlichter, am Ende des Jahrzehnts wohnt der Ritter von
Sacher-Masoch in einem Arbeiterviertel, nach einem verlorenen Rechtsstreit mit einem Verleger
droht gar ein Aufenthalt im Kerker. Die gestrenge Herrin unternimmt sogar einen persönlichen
Gnadengang zum Kaiser, auch die halbe Strafe ist immer noch zuviel für Leopold. Die Flucht auf
Reichsdeutsches Gebiet bewahrt in vor der Haft. Im Verlagszentrum Leipzig gründet Sacher-
Masoch 1881 die Revue Auf der Höhe, für seine Zeitschrift kann er auch renommierten Autoren
wie z.B. Victor Hugo, den italienischen Veristen Giovanni Verga oder Ludwig Ganghofer als Mitarbeiter
gewinnen.
1882 – 1886 Schmutziger Scheidungskrieg oder bedingungslose Vertragstreue?
Ein Versuch, mittels einer Zeitschrift wieder Grund unter die Füße zu bekommen, führt zur
einstweiligen Trennung des Paares. Wanda nutzt ihre Freiheiten und geht mit dem Mitherausgeber
durch. Als Leopold sich seinerseits anders orientiert und eine Beziehung mit Hulda Meister
eingeht, die auch schon Beiträge zu Auf der Höhe geliefert hat, lernt er die Vertragstreue seiner
gestrengen Herrin kennen. Auf den ersten Blick erscheinen die Vorfälle der folgenden Jahre wie
ein besonders schmutziger Scheidungskrieg, in dem die wechselseitige Entführung der Kinder
noch zu den harmloseren Kapiteln zählt. Wanda macht im Namen ihres Mannes Schulden, der
sich wiederum mit den Pfändungsbeamten herumschlagen muß. Dabei kommt es zu tragischen
Koinzidenzen. Der beim Vater lebende Sohn Alexander stirbt, während die Beamten auf Veranlassung
seiner Mutter in der Wohnung Pfändungen vornehmen. Der Weg nach unten ist damit
noch nicht zu Ende, Wanda läßt ihren Sklaven und Ehemann solange pfänden, bis er zum
sprichwörtlichen nackten Mann geworden ist. Er hat keine eigenen Kleider mehr am Leib, als
ihn seine einstige Mitarbeiterin und aktuelle Geliebte vor der Obdachlosigkeit bewahrt. Drei
Jahre nach Wandas Flucht mit seinem Kollegen, eine auffällige Parallele zum Roman, entscheidet
sich Leopold für einen erneuten gemeinsamen Anlauf zu Ruhm und Geld. Seit dem Tod Turgenjews
(1883) ist dessen Stelle im geistigen Zentrum Europas vakant, insofern bestehen gute
Aussichten für den kleinrussischen Turgenjew. Auf den ersten Blick erscheint der Aufenthalt in
Paris als Triumphzug sondergleichen: die literarische Welt feiert Sacher-Masochs Ankunft und
die Republik zeichnet ihn mit einem Orden aus. Der Aufenthalt in Paris bleibt hinter den Erwartungen
zurück, privat wie finanziell. Wanda willigt nun in die Scheidung ein, kaum ist die abge- dankte Herrin aus dem Haus, da lädt Leopold umgehend Hulda Meister nach Paris ein und fordert
eine weitere Strafaktion heraus: Wanda läßt wieder einmal seine Honorare pfänden. Drei
Jahre später heiratet er Hulda Meister in Helgoland. Nach katholischem Rechtsverständnis bleiben
Wanda und Leopold Eheleute bis zum Tod einer Partei, ganz im Sinne des Vertrages. Eine
Tatsache, die sich Wanda später zunutze machen wird.
1887 – 1895
Die letzten Lebensjahre verlaufen weniger turbulent, im hessischen Lindheim findet der erst
gefeierte, dann gehetzte Schriftsteller nicht nur einen dauerhaften Wohnsitz, sondern auch neue
Aufgaben. Der einstige Skandalautor entwickelt neue Initiativen als Philanthrop und gründet
einen Verein für Volksbildung, der gleichermaßen kulturelle wie soziale Ziele verfolgt. Stipendien
für die Dorfbevölkerung und an ländliche Arbeiter gehören ebenso zum Programm wie Laienaufführungen
der Stücke von Goethe, Kotzebue und anderer Klassiker. Seine publizistischen
Aktivitäten richten sich gegen den Verein der antisemitischen Front. Bis zuletzt schreibt er, was
die Verleger von ihm erwarten, aber auch für das Vermächtnis Kains gilt das Motto: die Hoffnung
stirbt zuletzt. Der sechste und letzte Teil seines ambitionierten Zyklus ist am weitesten gediehen,
als der Tod der Vollendung des gleichnamigen Buches zuvorkommt. Am 9. März 1895 erliegt
Sacher-Masoch einem Herzinfarkt. Die Streitereien um die Person des Skandalschriftstellers
nehmen auch danach kein Ende. Wanda gibt auch nach dem Tod keine Ruhe, ficht Leopolds
Testament an und erklärt sich zur legitimen Witwe. Ihre Lebensbeichte (1906) entfacht eine erste
Debatte über die Person des Autors, dessen Name schon seit 20 Jahren zum Schlagwort für
eine erotische Perversion geworden ist. Zu diesem Zeitpunkt ist das literarische Werk neben der
Venus im Pelz längst in Vergessenheit geraten.
Schlussbemerkung: drei Nobelpreisträger und ein verkanntes Genie?
Paul Heyse und Sacher-Masoch
Als Paul Heyse sein kritisches Vorwort zu Sacher-Masochs Don Juan schreibt, befindet er sich in
Sachen Produktivität und Ansehen auf einem Spitzenplatz im literarischen Leben, kämpft aber
zugleich selbst gegen den Ruf eines Skandalautors, weil er in seinem Roman Im Paradies (1875) das Zusammenleben zwischen Mann und Frau ohne Segen der
Kirche thematisiert hatte. Heyse vertritt zwar freireligiöse Ansich -
ten und kämpft gegen die Intoleranz der Geistlichkeit - im Unterschied
zu Sacher-Masoch war ihm aber der einmal geschlossene
Bund fürs Leben heilig und unauflöslich. Dies zeigt sich auch in
einem späteren Roman, dessen männliche Hauptperson auffällige
Ähnlichkeiten mit der Erscheinung Sacher-Masochs aufweist. In
"Über den Wolken" (1891) verursacht ein überaus eleganter und
raubtierhafter Freidenker heftige emotionale Turbulenzen bei der
Weiblichkeit in seinem neuen Wohnort. Das Buch wurde seinerzeit
als eher verfehlte Auseinandersetzung mit der Philosophie
Friedrich Nietzsches mißverstanden - Sacher-Masochs verführerische
Präsenz war schon weitgehend aus dem Bewußtsein der
Feuilletonisten entschwunden. Mit der äußeren Erscheinung
enden schon die Parallelen. In Heyses Romanen und Novellen ist
die Begierde zwar stets stark, aber die Moral noch stärker: Heyse
spielt zwar gern mit den Gefühlen seiner Figuren und seiner
Leser, gönnt aber nicht einmal seinen zwielichtigen Gestalten das
zweifelhafte Vergnügen, von der Begierde überwältigt zu werden.
Der Literaturnobelpreis war eine späte Belohnung für soviel Fleiß
und Tugend.
Sacher-Masoch als Vorbild für den "Naturalismus"
Der "Salonpoet" und "novellistische Zuckerbäcker" Paul Heyse gehört schon Mitte der 80er Jahre
seines Jahrhunderts zu den Feindbildern einer neuen literarischen Generation, die später unter
dem Sammelbegriff Naturalismus in die Literaturgeschichte eingehen wird. Der realistische
Erzähler Leopold von Sacher-Masoch zählt wiederum zu den anerkannten Vorläufern der jungen
Autoren, die sich gelegentlich im Haus von Gerhart Hauptmann treffen. Gerhart Hauptmann
(1862-1946) wird inzwischen überwiegend mit dem sozialen Drama in Verbindung gebracht. Eine
kurze Episode im Leben des Künstlers, der sich mehr als 60 Jahre ungestört seinem literarischen
Schaffen widmen konnte. Ungestört, heißt soviel wie frei von finanziellen Sorgen. Das
Thema sexuelle Hörigkeit findet sich nicht umsonst so oft im Werk des Literaturnobelpreisträgers,
ein später Roman zu diesem Thema trägt den Titel Wanda.